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Hier meine Erlaubnis: Vergiss Mindset Arbeit und heile stattdessen jene Teile in Deinem Unterbewusstsein, die sich im ständigen Überlebensmodus befinden und den Mindset überhaupt notwendig machen.
Du denkst vielleicht regelmässig, dass Du einfach nichts auf die Reihe bringst, schon gar nicht beruflich. Ertappst Dich dabei und schaust dann auf die aufgehängte Postkarte gegenüber Deinem Schreibtisch, auf der steht: „Actually I can“? Für den Moment hast Du Dich via Mindset Arbeit also wieder auf die Reihe bekommen.
Die viel wichtigere Frage ist aber, warum glaubst Du, dass Du nicht gut genug bist. Warum denkst Du regelmässig Gedanken über Deine Unvollkommenheit und Limitierung? Genau dieser Frage geht die neueste Neurowissenschaft immer intensiver auf die Spur.
Die Polyvagaltheorie von S. Porges beschrieb die enorme Bedeutung unseres autonomen Nervensystems auf die Formulierung unserer gewohnheitsmässigen Gedanken. Ändert sich unser innerer Seinszustand, entstehen neue neuromuskuläre Muster, aber auch Schaltkreise, die auch zu neuen, in Selbstliebe und Vertrauen verankerten Gedanken führen.
In diesem Blogpost erfährst Du mehr, warum Mindset Arbeit nichts Grundsätzliches ändert, sondern nur ein BandAid über ein dysreguliertes Nervensystem legt.
Unterschied zwischen Nervensystem und Mindset
Stell Dir vor, das Wasser ist kristallklar, bevor es durch Dein Hausleitungssystem fliesst. Wegen der verschmutzten Leitungen im Haus wird dieses Wasser aber verunreinigt. Du kannst nun einen Filter am Wasserhahn anbringen, damit Dein Trinkwasser klar ins Glas rinnt. Du kannst aber auch Dein Leitungssystem erneuern, damit es das klare Wasser nicht mehr verschmutzt.
Britta Kimpel
Im Endeffekt ist Dein Mindset der Filter am Ende eines langen Prozesses. Was überhaupt in Dein Gehirn als Impuls vordringt und welche Gedanken Du denkst, bestimmt unterhalb Deiner Wahrnehmungsschwelle Dein autonomes Nervensystem.
Dieses filtert, was Du wahrnimmst via Neurozeption und Retikulärem Aktivierungssystem und steuert auch, was Du als sicher oder gefährlich beurteilst. Dein Gehirn hat sich zur Aufgabe gemacht, aus all diesen Informationen, die ihm via Nervensystem zufliessen, etwas Sinnvolles zu machen. Dein Gehirn liefert also die passenden Geschichten aka Gedanken zu den Signalen aus dem Nervensystem. Diese Gedanken sind immer verwoben in Deine Geschichte und Deine Bewertung Deiner Geschichte.
Es erstaunt also nicht, dass wir 80 % unserer Gedanken von heute schon gestern genau gleich dachten.
Glaubenssätze und Mindset
Zuerst einmal das Grundsätzliche: Unser Mindset ist die Summe all unserer unbewussten Überzeugungen und Glaubenssätze. Einen Gedanken, den wir regelmässig denken, formt einen Glaubenssatz. Unser Gehirn automatisiert aus Effizienzgründen Gedanken und Meinungen, die wir wiederholt denken.
Du hast zum Beispiel in der Einleitung zum Thema Erfolg verschiedene Glaubenssätze und Überzeugungen in einem Mindset abgespeichert. Ob Du nun an Deinen Erfolg glaubst oder nicht, hängt von Deinem Mindset ab.
Wir formen unsere Glaubenssätze selten bewusst. Es beginnt irgendwann mit einem Gedanken oder einer Meinung, den unser Gehirn durch unsere regelmässige Wiederholung automatisiert (wie das Schalten vom 3ten in den 4. Gang für alle die noch ohne Automatik Autofahren lernten). In den meisten Fällen ist es uns nicht einmal bewusst, dass wir diesen Gedanken haben, aber er steuert im Hintergrund unser Leben – ohne dass wir ihn aktiv hervorrufen müssen.
Glaubenssätze können in verschiedenen Erlebnissen und in unterschiedlichen Situationen entstehen. Unsere Kindheit und was die Erwachsenen und Geschwister um uns sagen und tun, aber auch unsere Gesellschaft und Kultur haben einen grossen Einfluss auf unsere persönlichen Glaubenssätze.
Sprichwörter spiegeln oft gängige Glaubenssätze
- Das Leben ist kein Ponyhof
- Ohne Fleiss kein Preis
- Erst die Arbeit, dann das Vergnügen
- Schönheit muss leiden
- Pech im Spiel, Glück in der Liebe
Keines dieser Sprichwörter hat irgendetwas mit der Realität zu tun, aber wir kennen sie als kollektive Glaubenssätze. Wir bestätigen uns unsere unbewussten Glaubenssätze durch unser Verhalten.
Auch der aktuelle Stand der Wissenschaft formt manche Glaubenssätze, die dann widerlegt werden. «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr», geht auf die Überzeugung zurück, dass unser Hirn nur bis wir ca. 20 Jahre alt sind, weiterentwickelt. Heute wissen wir über Neuroplastizität Bescheid und wie viel wir auch noch im hohen Alter an Hirnkapazität entwickeln können.
Transformation auf der SEIN statt auf der TUN Ebene
Egal, ob Du glaubst, Du kannst es oder Du kannst es nicht, Du wirst in jedem Fall recht behalten.
Henry Ford
Unsere Glaubenssätze formen also unsere Wirklichkeit. Ich will daher auch nicht abstreiten, dass Mindset Arbeit Ergebnisse produziert. Wie ich in ein Vorstellungsgespräch reingehe – ob ich glaube, dass ich als 50-jährige keinen Arbeitsmarkt habe oder sicher bin, dass mein Erfahrungsrucksack ein Geschenk für alle ist – wird sich in meinen realen Möglichkeiten spiegeln.
Was ich aber gelernt habe: wenn Du wirklich wisst, dass sich Dein Leben anders anfühlt, dass Du Dich selber wertschätzt und nicht immer nervös wirst, wenn Du Nein sagen willst, dann muss sich etwas in Deinem inneren Erleben shiften.
Sobald Du Deine Grenzen ohne eigene innere Konflikte spürst und erlaubst, brauchst Du keinen Mindset, der Dich dabei unterstützt. Du bist dann einfach ruhig und gelassen beim Nein sagen, ohne lange nachzudenken und auch die Reaktion Deines Gegenübers bleibt, was es ist: ein Ausdruck, was in Deinem Gegenüber im Inneren abläuft.
In der Mindset Arbeit setzt Du also ganz hinten im Prozess an. Dann, wenn Du schon Deine Gedanken geformt hast und merkst, dass Deine Gedanken Dir bei der Erreichung Deiner Ziele nicht helfen. Dieses Mindset musst Du nun dauernd aktiv einführen, denn im Inneren verändern sich Deine Gefühle und Gedanken nicht grundsätzlich. Du hast einfach ein Hilfsmittel oder nennen wir es Filter, der Dir hilft, die trüben Gedanken nochmals zu klären.
Solange Du Dich darum kümmerst, dass sich Dein TUN verändert, hilft Mindset Arbeit. Du hast zum Beispiel ein Muster immer zu funktionieren und oft ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn Du nicht perfekt lieferst, jemanden enttäuscht oder selber mal nicht dabei sein magst, aber könntest. Der Impuls etwas zu TUN, das Du gerne anders hättest, bleibt. Du hast einfach schlaue Konzepte entwickelt, Dich am TUN, das Dir nicht guttut, mehr oder weniger zu hindern.
Ich lernte schon als Student 18 Stunden am Stück, wenn es sein musste und wuppte noch 1–2 Nebenjobs und schaffte trotzdem so gut zu sein, dass ich im Ausland studieren konnte. Als Unternehmensberater arbeitete ich 80–90 Stunden und schaffte es trotzdem nicht zusammenzubrechen, sondern befördert zu werden. Als dann die Kinder kamen, kündigte ich nach einem Burnout meinen Corporate Job, nur um dann einen Onlineshop aufzubauen, in dem ich wieder 7/24h erreichbar und verfügbar war. Nichts änderte mein Muster zu funktionieren und alle anderen mehr als mich selbst zu spüren, ich war nur sehr erfolgreich, nicht zu kollabieren.
Mit der Krebserkrankung wurde mir sehr bewusst, dass ich meinen Kern verändern musste – den Teil, der mich so zum Funktionieren und Strampeln brachte. Ich wollte nicht mehr fühlen und denken, dass ich nun etwas unbedingt auch noch tun sollte: Weniger schlechtes Gewissen, dafür weniger inneres müssen und sollen. Ich wollte grundlegend anders sein, damit ich anders fühlte und anders denken würde.
Die Arbeit mit dem Nervensystem heilt unseren Seins-Zustand – bevor wir etwas tun oder denken – damit spüren wir Sicherheit und Verbundenheit in Situationen, in denen wir früher entweder kämpften, flüchteten oder aufgaben. Du beginnst Dich vollständig zu fühlen, ohne dass Du etwas machst, erreichst oder von anderen gelobt oder geschätzt fühlst.
Wenn unser autonomes Nervensystem beginnt, sich besser in der inneren Verbundenheit und Sicherheit zu verankern – auch wenn es im aussen Stressfaktoren gibt – dann verändert sich, was wir fühlen und welche Gedanken unser Verstand beginnt zu formulieren. Dieser Prozess wird auch Selbstregulation bezeichnet und ist heilsam auf vielen Ebenen.
Ich merke in der Zwischenzeit zwar, dass mein Gegenüber etwas von mir erwartet, aber ich kann völlig ruhig ausdrücken, wenn ich das nicht machen möchte. Sollte er verärgert sein, empfinde ich Mitgefühl, aber kein schlechtes Gewissen oder Ärger. In mir bleibt alles friedlich. Ich muss gar nicht mehr denken «ich darf meine Grenzen wahrnehmen», das ist schon in mir verankert, bevor ich es denke.
Warum braucht es die Gefühlsebene beim Heilen
Ich nenne es gerne den klassischen Kopf Herz Konflikt in unserer kopflastigen Leistungsgesellschaft. Wir wollen alles verstehen und analysieren, messen und nachweisen. Das hat alles seine Berechtigung. Ich bin auch froh, hat meine Achtsamkeitsarbeit und Spiritualität nun auch einen wissenschaftlichen Anker in der Polyvagaltheorie gefunden.
Unser autonomes Nervensystem kommuniziert über unsere Körperempfindungen. Diese Empfindungen nimmt unser Gehirn über unsere afferenten (vom Körper zum Gehirn) Nervenstränge wahr und sucht die passende Geschichte / Gedanken zu diesen Gefühlen im Körper.
Arbeiten wir mit unserem Nervensystem und bekommt dieses dadurch mehr Sicherheitssignale, verändern sich auch unsere Gefühle und damit unsere Gedanken hin zu mehr Weite, Helligkeit, Offenheit, Möglichkeiten und Vertrauen.
Die Arbeit mit dem Nervensystem braucht unser präsent werden mit dem, was in unserem Körper gerade ist. Indem wir lernen, unseren Körper und seine Empfindungen einfach zu spüren und zu erlauben, kann sich unser Nervensystem wieder in die Regulation bringen. Ebenso kann Dein Atem Deinem Nervensystem Sicherheit signalisieren. Wenn Du Deinen Ausatmen verlängerst, entspannt Dein Nervensystem – niemand atmet lange aus, der auf der Flucht ist, so interpretiert unser autonomes Nervensystem dieses Sicherheitssignal. Wenn Du dann noch beim Ausatmen summst, entspannt dies den Vagusnerv noch eine Nuance mehr – denn er verläuft unterhalb unserer Stimmbänder und Faszien im Hals.
Dies erklärt auch, warum Meditation und Achtsamkeitsübungen wie Chi Gong oder Atemtechniken schon in vielen Kulturen als heilsam beschreiben wurden. Diese regelmässige Präsenz mit dem, was ist und die Verankerung von Atemübungen, Körper- und Energiearbeit in unserem Alltag verändert unseren Seinszustand und damit unsere Gedanken, die wir regelmässig denken.
Hier noch ein Chart mit 4 Übungen, die Du ausprobieren kannst.
Liebe Grüsse
Gertrud
P.S.: Dieser Beitrag über Emotionen und Gefühle entstand als Artikel im Rahmen der Blog-Dekade 2022 veröffentlicht. Das ist eine Challenge, an der viele Bloggerinnen aus der Content Society teilnehmen. Bis zu zehn Blog-Artikel in zehn Tagen können dabei entstehen. Hört sich mutig und frei an? Find ich auch! Und deswegen bin ich dabei.