Stresstoleranzfenster und Neurozeption: So wirken sie im Alltag

Stresstoleranzfenster und Neurozeption

geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

In diesem Blogbeitrag erkläre ich zwei zentrale Begriffe aus der Nervensystemarbeit: Stresstoleranzfenster und Neurozeption.

Das erkläre ich Dir deshalb, denn in der Arbeit mit Deiner Neurobiologie erkunden wir zunächst Dein derzeitiges Stresstoleranzfenster und erweitern es, in dem wir mehr Sicherheit ins System bringen. Dabei dient der Begriff «Stresstoleranzfenster» als Veranschaulichung, um Stressreaktionen im Nervensystem zu verstehen.

Das Stresstoleranzfenster ist eine häufig genutztes Bild, um die Stressreaktionen des Nervensystems zu erklären. Es wurde von Daniel Siegel als Begriff «Window of Tolerance» geprägt. Es ist ein Begriff, um verschiedene Niveaus nervöser Erregungen zu beschreiben.

Wie wirkt das Stresstoleranzfenster?

Du kannst dir dieses Toleranzfenster als einen Rahmen, ein Gefäss in Deinem Nervensystem vorstellen. Dein vegetatives System kann im Umfang Deines Rahmens bzw. Gefäss Aktivität, Eindrücke und Erregung halten, ohne in eine Stressreaktion zu kippen.

Es ist ein Empfinden von «genau richtig», «in Balance» und Du empfindest es vielleicht als einen Zustand, in dem Du alle Termine, Herausforderungen und Begegnungen gut aushalten kannst, ja sogar richtig geniesst.

Stresstoleranzfenster im Nervensystem
Dieser mittlere Erregungszustand beschreibt Dein Stresstoleranzfenster

Innerhalb Deines Stresstoleranzfensters nimmt Dein Nervensystem die Menge an Eindrücken, Emotionen und Aktivität als genau richtig wahr und arbeitet ohne die Stressachse zu aktivieren. In diesem Zustand atmest Du ruhig, Deine Energie fliesst durch den ganzen Körper und Deine regenerativen Zyklen laufen reibungslos im Hintergrund, da genug Energie dafür zur Verfügung gestellt wird.

Erleben ausserhalb des Stresstoleranzfensters

Ausserhalb Deines Stresstoleranzfensters nimmt Dein Nervensystem zu viel bzw. zu wenig wahr und auch die Verarbeitung aller Eindrücke und Informationen läuft nicht mehr ungestört. Diese Zustände werden als Übererregung und Untererregung bezeichnet.

Stresstoleranzfenster im Nervensystem
Das Erregungsniveau im Nervensystem ausserhalb und innerhalb Deines Stresstoleranzfensters.

Diese oben gezeigten Zustände aktivieren sich autonom, das heisst ohne Dein bewusstes Entscheiden.

In der chaotisch erlebten Übererregung nehmen Deine Sinne gefühlt zu viel wahr: zu viele Eindrücke, zu viele Emotionen, eine Flut an Aktivität oder innerer Bilder fliesst durch Deine Innenwelt. Es wird dabei oft von einer Überflutung bzw. Überschwemmung im Inneren gesprochen. In diesem Zustand kann Dein Gehirn und Dein Körper nicht mehr reibungslos arbeiten und Du erlebst eine desorganisierte Verarbeitung all der verschiedenen Sinneseindrücke, Gedanken und Emotionen um und in Dir.

Im Zustand der Untererregung gibt es ein zu wenig an Wahrnehmung durch Deine Sinne, Deine Emotionen sind wie vertrocknet und deine Aktivität im Aussen als auch von inneren Bildern ist gedämpft. Du erlebst einen Zustand der emotionalen Taubheit und Du bist nicht wirklich präsent. Dein Nervensystem schafft nur mehr eine verminderte Verarbeitung von Sinneseindrücken, Gedanken und Emotionen. Du bist wie in Watte gepackt, abgeschnitten von der Welt und der Gegenwart.

Gefühlte Sicherheit als Trigger für Unter- bzw. Übererregung

Um zu verstehen, wie unser System in die Über- bzw. Untererregung rutscht, müssen wir zuerst die Bedeutung von Sicherheit für unsere Neurobiologie verstehen.

Damit unser Nervensystem in Balance sein kann, ist das Erleben von Sicherheit unbedingt erforderlich. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Sicherheit immer ein subjektives Erleben ist, das durch die Erfahrungen in unserem Leben geprägt wird.

Sicherheit hat also etwas mit unserem persönlichen Empfinden im Nervensystem zu tun. Wir können unserem Nervensystem nicht suggerieren, dass Sicherheit herrscht. Sicherheit ist ein biologisches Erleben, ein körperlich Wahrnehmen, das sehr individuell spürbar ist und durch die eigene Entwicklung geprägt wurde.

Was ist Sicherheit neurobiologisch betrachtet

Sicherheit entsteht, wenn die komplexe Wahrnehmung des Organismus aus den gesammelten Wahrnehmungsdaten das Ergebnis ableitet, dass keine Gefahr besteht oder droht.

Du kannst Dir das also ungefähr so vorstellen: Sicherheit hat ihren Ursprung in unserem Nervensystem und breitet sich von dort aus in unsere Emotionen, unsere Gedankenwelt und unseren Kontakt zur Welt.

Wie sicher sich ein Mensch in der Welt fühlt, hängt oft mehr von seinem früheren Prägungen ab als von seiner gegenwärtigen Situation.

Verena König

Ebenen der menschlichen Wahrnehmung

Woraus bezieht nun unser autonomes Nervensystem alle Wahrnehmungsdaten, die er zur Abwägung Gefahr oder Sicherheit braucht?

Unsere Wahrnehmung setzt sich aus drei Ebenen bzw. Kanälen zusammen. Wir nehmen Informationen aus unserer Umwelt via unserer Sinne wahr. Dies wird als Exterozeption bezeichnet.

Ausserdem nehmen wir Informationen aus unseren Körpersystemen wahr. Blutdruck, Herzschlag, Neurotransmitter Verhältnis im Blut, Atemrhythmus und unzählige andere Infomitionenschnipsel, die unsere Organe und unsere Systeme sekündlich an unsere zentrale Steuerungseinheit liefern. Dies bezeichnet man als Interozeption. Teil dieser Interozeption ist auch die Fähigkeit, unseren Körper im Raum wahrzunehmen. Diese Fähigkeit wird als Propriozeption bezeichnet.

Zu guter Letzt liefert auch unsere erworbene Neurozeption auf unsere Wahrnehmungsdaten. Anhand der Neurozeption entscheidet unser System autonom, also unbewusst, ob eine Situation sicher, gefährlich oder lebensgefährlich ist.

Wahrnehmungsebenen im Nervensystem
Wahrnehmungsebenen im Nervensystem

Qualität des eigenen Sicherheitsgefühls

Unser Nervensystem hat also seine eigenen Bewertungsmechanismen, wie Sicherheit sich anfühlt. Diese Mechanismen werden zunächst in unserer frühesten Kindheit geprägt, aber auch im weiteren Verlauf unseres Lebens.

Wir lernen bereits sehr früh als Kinder zwischen Gefahr (unsicher) und Erregung (sicher) zu unterscheiden.

Die grundlegende Erfahrung von Sicherheit basiert auf Kindheitserfahrungen, in denen wir durch Bezugspersonen lernen, wie sich Sicherheit und Geborgenheit, oder auch der Mangel davon (durch Ausgeliefertsein, Schutzlosigkeit, Gefahr), anfühlen.

  • Kinder, die Bedrohung von aussen erfahren, entwickeln eine angespannte und alarmierte Exterozeption.
  • Kinder, die früh Krankheit oder Schmerz durchleben, entwickeln eine Interozeption, die innere Wahrnehmung schnell als bedrohlich einstuft
  • Kinder, die wenig körperliche Nähe oder toxischem Stress ausgesetzt sind, entwickeln eine Neurozeption, die beständig Gefahr meldet, da die Welt als gefährlicher Ort wahrgenommen wird.

Zusammenhang Stresstoleranzfenster und empfundene Sicherheit

Deine früheren Erfahrungen bestimmen also die Art und Weise, wie Du mit Stress umgehst und was Du überhaupt als Stress empfindest.

Die Grösse Deines Stresstoleranzfensters hängt also direkt vom Mass Deiner empfundenen Sicherheit ab. Du nimmst Deine Wahrnehmung, Deine Gefühle, Deine Gedanken und inneren Bilder als genau richtig wahr, solange Du innerlich genug Sicherheit empfindest. Die Qualität Deines Sicherheitssystems wird von Deinen früheren Erlebnissen geprägt.

Vielleicht hilft Dir das Bild eines Krans als Veranschaulichung dieses Prinzips: Wie viel Last Du auf den Arm des Krans ausfahren kannst, hängt vom Gewicht im Rücken des Krans ab. Nur wenn der Kran genug Gegengewichte (Sicherheit) geladen hat, kann er eine Last (Stress) auch hochheben.

Stresstoleranzfenster – ein Gleichgewicht aus empfundener Sicherheit und Belastung
Stresstoleranzfenster – ein Gleichgewicht aus empfundener Sicherheit und Belastung

Halten empfundene Sicherheit und Stress / Belastung Balance, bleibst Du innerhalb Deines Stresstoleranzfensters. In diesem Zustand empfindest Du den Mix an Emotionen, Gedanken, inneren Bildern und Empfindungen als genau richtig. Du hast Lust auf Menschen und erlebst Herausforderungen als Chancen.

In meiner traumasensiblen Begleitung als Nervensystem Coach arbeite ich mit vielen Tools und Übungen, die Dein Stresstoleranzfenster einladen, sich zu dehnen und mehr Kapazität für Belastungen zu entwickeln. Das wichtigste Ziel – gerade am Anfang meiner 1:1 Begleitung – Deine Ressourcen zu stärken, also Dein erlebtes Sicherheitsgefühl im Jetzt bewusst zu steigern und zu dehnen.

Falls Du lernen möchtest, Dein Leben als genau richtig zu erleben, buch’ Dir gerne mein kostenloses Erstgespräch, in dem wir gemeinsam herausfinden, welches meiner Angebote gerade hilfreich für Dich sein könnte. Hol Dir Hilfe und Begleitung, und klicke diesen Link.

Liebe Grüsse,

Gertrud

Balance im Leben und im Nervensystem | ohne emotionale Überforderung

Embodiment | Nervensystem | Verbindung zu Dir

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