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Ich orientiere mich mehrmals am Tag auf meinem Bürostuhl. Auch meine Kinder hören den Tipp «Orientier Dich langsam im Raum, bevor Du bei Prüfungen loslegst». Trotz regelmässigen Augenrollen meiner Kinder, musste auch der skeptische Teenagersohn schon öfters feststellen, dass Mamas Orientierungsübung sein Wissen in einer Spannungssituation leichter fliessen lässt.
Im heutigen Blogpost erkläre ich Dir, warum diese Orientierungsübung so unmittelbar Deiner Neurobiologie Sicherheit signalisiert und der innere Alarmzustand wieder in Entspannung umschaltet.
Die Orientierungsreaktion
Die Orientierung im Raum ist bei uns Menschen als Reflex im Nervensystem angelegt. Du orientierst Dich also spontan, ohne Dich dazu bewusst aufzuraffen. Dieser Orientierungsreflex dient unserem Überleben. Er erlaubt rechtzeitig Gefahr zu erkennen und auf sie zu reagieren.
Vielleicht hast Du schon mal bei Dunkelheit ein Rascheln im Gebüsch vernommen. Ich bin mir sicher, Deine Augen und Ohren wanderten blitzschnell in die Richtung des Geräuschs, ohne dass Du gross nachdenken musstest. Du bist innerlich auch in Alarm und bereit zu kämpfen oder zu flüchten, bis Du für Dich klären konntest, dass es nur ein kleiner Igel war und kein Tiger.
Deine Neurobiologie folgt dabei ganz instinktiv 3 Fragen:
- Wo ist es?
- Was ist es?
- Ist es gefährlich?
Deine einordnete Wahrnehmung (auch genannt Neurozeption) liefert Dir basierend auf den Antworten auf diese 3 Fragen enorm schnell eine Bewertung. Dein innerer Radar signalisiert Dir «ich bin in Gefahr» oder «ich bin sicher».
Die Orientierungsreaktion steht also immer am Anfang einer Gefahrensituation – ausser wir werden so überrascht, dass wir sofort fliehen oder kämpfen. Sie ist ein Schutzreflex.
2 Arten von Orientierung
Neben der oben beschriebenen defensiven Orientierung kennen wir aber auch eine weitere Art uns zu orientieren.
Die erkundende Orientierung, wenn wir entspannt und neugierig sind. Mit ihr entdecken wir Neues und sind innerlich entspannt, aber wachsam.
Für ein reguliertes Nervensystem ist diese erkundende Orientierung schön, genussvoll und eine angenehme Art Anspannung zu erleben – denn Neues kann auch mal aufregend und etwas unbekannt sein.
In diesem Bild siehst Du gut, dass unser inneres Erregungsniveau bei der defensiven Orientierung steigt, und bei der erkundenden Orientierung in ein angenehmes Niveau innerhalb des eigenen Stresstoleranzfensters zurückfällt.
Orientierung und Nervensystemzustand
Wie wir unseren Orientierungsreflex nutzen, hängt auch vom Zustand unseres Nervensystems ab. Sind wir generell eher «angeknipst» also latent im Gefahrenmodus zu Hause, ist dieser Reflex übersteuert. Du erkennst es bei Menschen, die enorm schreckhaft oder überempfindlich auf Reize wie Lärm oder Licht reagieren.
Aber auch das Gegenteil ist möglich. Wir können uns auch zu wenig orientieren und erkennen Gefahren zu langsam oder gar nicht. Wir können auch inadäquat (zu langsam oder gar nicht) auf Gefahren reagieren – zum Beispiel umfallen, ohne unsere Hände schützend zu nutzen. Vielleicht ist es Dir selber schon aufgefallen, dass Du in Türen oder Ecken hineinläufst, wenn Du zu viel gleichzeitig machst und langsam das Gefühl für Deinen Körper verlierst.
Orientierung zur Selbstregulation
Die Neuroplastizität unseres Gehirns und unserer Neurobiologie erlaubt uns aber auch, diese oben genannte übersteuerte Orientierungsreaktion wieder zu balancieren und für uns und unser inneres Gleichgewicht zu nutzen.
Wenn Du Dich bewusst und langsam im Raum orientierst, wird Deine autonome Orientierungsreaktion zur simplen, aber höchst effektiven Übung Sicherheit in Dein Nervensystem und damit in Dein Erleben zu bringen.
Machst Du diese Orientierungsübung regelmässig, erreichst Du Folgendes:
- Du erlebst Sicherheit im Hier und Jetzt mit einer sehr simplen Methode unabhängig von der äusseren Situation
- Deine erkundende und Deine defensive Orientierungsreaktion werden wieder hergestellt
- Übersteuerte oder dissoziierte Orientierungsreaktionen werden ausbalanciert
- Du fühlst Dich sicher (diese Sicherheit kommt im Körper an und wird nicht nur kognitiv erlebt)
Anleitung Orientierungsübung
Diese Übung hat den Zweck, Dich in einem Moment, in dem es Dir nicht so gut geht, relativ schnell in einen Zustand zu bringen, der sich ressourcenhafter, entspannter und angenehmer anfühlt
Sitz oder stehe bequem und spür gerne Deine Füsse am Boden oder Deinen Rücken gehalten von der Stuhllehne. Lasse nun Deinen Blick im Raum schweifen, als würdest Du den Raum um Dich wie ein Gemälde betrachten.
Achte auf langsame Drehbewegungen des Kopfes. Beginne mit einem Blick über Deine rechte Schulter. Nimm so viele Details an Farben, Lichtreflexen und Formen wahr, während Dein Kopf und somit Dein Blick in die Mitte wandert und von dort über die linke Schulter.
Unterschätze Orientierung im Raum niemals als Übung oder Ressource im Alltag, um Sicherheit im Hier und Jetzt zu erzeugen – nur weil sie so einfach und unspektakulär ist!
Verena König
Schaue auch ganz bewusst nach oben und unten. Gerade diese langsamen Kopfbewegungen geben Deinem vegetativen System sofort einen Hinweis, dass nirgends eine gefährliche Situation lauert. Zeit für langsame, erkundende Kopf- und Augenbewegungen hat niemand auf der Flucht vor dem Säbelzahntiger!
Du kannst diese Übung mehrmals am Tag einfach so machen. Besonders hilfreich ist sie, wenn sie Dir sogar in einer unangenehmen oder sogar überfordernden Situation einfällt (z.Bsp: wenn Du Deine Kontenübersicht ansiehst oder dem Steueramt anrufst).
Natürlich lässt sich diese einfache Übung auch anreichern: Nimm zum Beispiel 4 Farben, 3 Gegenstände und 2 Töne wahr, während Du Deinen Blick langsam schweifen lässt.
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– Gertrud Angerer
Balance im Leben und im Nervensystem
Embodiment | Nervensystem | Verbindung zu Dir