Der Wunsch nach Veränderung: Zusammenhang mit Neuroplastizität und Gehirnstrukturen – Teil 1

Neuroplastizitaet und Gehirnstrukturen

geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Der Wunsch nach Veränderung ist bei vielen Menschen, gerade wenn sie auch Symptome kennen, sehr gross. Mir ging es jedenfalls jahrzehntelang so, dass mein Wunsch, mich anders zu fühlen, mich anders zu verhalten oder einfach ganz anders zu sein, schmerzhaft gross war, ohne dass irgendetwas von dem, das ich probierte, wirklich Veränderung brachte.

Heute weiss ich, dass sehr viele Muster oder Symptome an Überlebensstrategien geknüpft sind, die deswegen besonders solide in uns wirken. Sind diese Strategien auch noch früh in unserer Kindheit gelernt, verstärkt das ihre Stabilität.

Die Neurowissenschaft kann heute belegen, dass diese Verhaltensmuster bzw. Überlebensstrategien neuronalen Netzwerken entsprechen. Sie sind also tief in unsere Neurobiologie eingegraben. Wollen wir unsere Muster und unser Verhalten ändern, dann muss sich also unsere Neurobiologie und damit unser Gehirn verändern.

Die gute Nachricht: unser Gehirn verfügt über eine enorme Anpassungsfähigkeit bis ins hohe Alter – es ist also nie zu spät, oder zu komplex, sich Schritt für Schritt besser zu fühlen. Es braucht einfach ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse in unsere Neurobiologie, um neue Strukturen wachsen zu lassen.

Gehirnstrukturen verstehen

Gehirnstrukturen und ihre Aufgaben und Bedürfnisse verstehen lernen

Dieses Modell von McLean bringt viel Klarheit in unser Verständnis. Dr. Dan Sigel hat daraus das dreieinige Handmodel entwickelt, das den Aufbau des Gehirns sehr gut erläutert.

Die Hand zeigt schön die 3 unterschiedlichen Hirnareale und wie sie zusammenwirken, um in unsere Nervensystemzustände zu wechseln.

Handmodell von Dan Siegel – Merkschema für die Gehirnstrukturen und ihre Vernetzungen bei Regulation und Dysregulation
  • Der Handschaft bildet den Wirbelkanal, die Rückseite der Hand symbolisiert unseren Hinterkopf
  • Die Handfläche symbolisiert das Stammhirn
  • Der Daumen, das Limbische System, das sich in die Handfläche bettet und mit ihr verbindet
  • Die Finger repräsentieren den Neocortex, das sich im regulierten Zustand über den Daumen legt und so alle 3 Bereiche miteinander vernetzt bleiben
  • Die ausgestreckten Finger symbolisiert den dysregulierten Zustand in unserem Gehirn, wenn der rationale Teil unseres Gehirns seine Verbindung zu Gefühlen (limbischer Teil) und Reaktionen (Stammhirn) verliert

Aufgaben der dreieinigen Gehirnstrukturen

Stammhirn

Dieser Teil des Gehirns ist der älteste und wir teilen ihn auch mit den Reptilien. Dieser Teil ist auf unser Überleben ausgerichtet und er steuert unsere Reaktionen. Reaktionen sind blitzschnell und werden ohne Check-in mit unserem rationalen Hirn gezündet. Also, wenn du schon mal versuchst hast, deine Reaktionen kognitiv zu verändern, weisst du, warum das bis heute nicht funktioniert hat🤪.

  • dieser Teil des Gehirns entscheidet, wohin Energie in unserem Körper fliesst, wenn das Leben bedroht scheint
  • es ist der älteste Teil unseres Gehirns
  • er sichert wichtige Vitalfunktionen, indem er Informationen aus dem Körper aufnimmt und dorthin sendet

Unser Stammhirn kannst du dir wie einen Autopiloten vorstellen, der deine Reflexe und deine Überlebensfunktionen steuert.

Limbisches System

Dieser Teil des Gehirns hilft uns, Dinge und Erlebnisse zu bewerten. Es entschiedet: Ist das gut oder schlecht? Dieses System arbeitet mit dem Hypothalamus zusammen und reguliert Stress via Hormonausschüttungen. Dieser Hirnanteil ist unser zweitältester und unterstützt uns, Sicherheit zu fühlen und in Gemeinschaften zu überleben.

  • es ist der Ort für Gefühle, Gewohnheiten, Erinnerungen (Hippocampus) und Selbsterhaltung
  • erzeugt Gefühle, um Sicherheit (körperlich und sozial) zu ermöglichen
  • zusammen mit dem Hypothalamus regelt es Stress via Hormonausschüttung

Teil unseres Limbischen Systems ist die Amygdala (unser innerer Feuerwehralarm sozusagen) und der Hippocampus (unser Bibliothekar bzw. Puzzle-Zusammensetzer von Erinnerungsteilchen). Unser Hippocampus schaut aus wie ein Seepferdchen und formt aus Signalen verschiedener Hirnbereichen Erinnerungen. Er entwickelt sich erst mit zunehmenden Alter – ein Grund, wieso wir frühe Erinnerungen nur unscharf bzw. nonverbal haben.

Neocortex

Dieser Teil unseres Gehirns erlaubt uns zu komplex zu denken und ist unser jüngste Hirnteil. Dieser Teil unseres Gehirns ist der einzige, der Veränderung und Entwicklung wirklich liebt. Mit ihm sind wir kreativ, lernen von anderen und können Empathie zeigen und uns einfühlen.

  • Potenzialentfaltung, besser werden, Empathie
  • Impulskontrolle, Wille, Planung,
  • Aufmerksamkeitskontrolle

Neuronale Netzwerke und Neuroplastizität

Nervenzellen kommunizieren mithilfe ihrer Synapsen mit anderen Nervenzellen. Eine Nervenzelle kann mit bis zu 10’000 anderen Nervenzellen kommunizieren und bildet ganz feine, weitreichende Netzwerke.

Wir Menschen kommen mit sehr wenigen, genetisch vorstrukturierten Verknüpfungen zur Welt. Wir haben also einen Pool an freien Synapsen, die nur darauf warten verknüpft zu werden. Jeder Eindruck, jedes Gefühl, jede Bewegung knüpft eine Verbindung.

Diese Fähigkeit einer Nervenzelle, sich mit einer anderen Nervenzelle zu verknüpfen, nennt man Neuroplastizität. Diese Fähigkeit verliert unser Gehirn zeitlebens nicht.

Die Anzahl der synaptischen Verbindungen ist nicht genetisch, sondern ergibt sich aus den Erfahrungen, die wir machen. Jeder Mensch hat das Potenzial für 10 hoch 1 Million Verknüpfungen im Nervensystem – unser Potenzial ist also grösser als alle Atome im gesamten Universum.

Unser Gehirn entwickelt sich also nutzungsabhängig. Unser lernfähiges Gehirn knüpft mit jeder neuen Erfahrung neue Verbindungen. Aber auch jede Verknüpfung, die regelmässig genutzt wird, wird stabiler, breiter und autonomer.

Wenn wir auf die Welt kommen, gibt es nur jene Verknüpfungen, die wir brauchen, um zu überleben:

  • Bindungsbedürfnis
  • Erkundungsbedürfnis
  • Überlebensreaktionen
  • Wachstumspotential und Körpermerkmale

Alle anderen Verbindungen und Netzwerke entwickeln sich durch Nutzung. Die Verschaltung bzw. Verdrahtung von Nervenzellen zu neuronalen Netzwerken geschieht in Abhängigkeit von Lebensbedingungen und Erfahrungen. In unserer Kindheit sind wir besonders formbar, jeder Ein-druck, jede Erfahrung (auch über die Sinnesorgane) verdrahtet Neuronen in unserem Gehirn.

Veränderung der eigenen Neurobiologie

Neuronale Netzwerke entstehen durch synaptische Aktivität, also das Feuern zwischen zwei Synapsen. Dadurch verknüpfen sich verschiedene Nervenzellen zu komplexen Netzwerken, die durch Wiederholung stärker werden. Stark genutzte Nervenverbindungen werden zu regelrechten sechsspurigen Autobahnen, während weniger genutzte Verbindungen zu Trampelpfaden werden oder ganz zuwachsen.

What fires together, wires together

Tatsache Deiner Neurobiologie

Manche Datenautobahnen (Stimmungen zusammen mit Denkkaskaden, Körperwahrnehmungen, Emotionsstrudel) haben über lange Strecken auch keine Ausfahrten. Die Arbeit mit dem Nervensystem kümmert sich dann unter anderem darum, Ausfahrten aus Autobahnverbindungen zu bauen bzw. Trampelpfade in gefühlte Sicherheit zu stärken und freizulegen.

Veränderung wohin

Oft wünschen sich Klientinnen, dass etwas einfach weg ist, sich anders anfühlt. Aber sie haben keine konkreten Bilder im Kopf, wie das neue sich anfühlt und ausschauen könnte. In der Arbeit miteinander verbringen wir also auch viel Zeit damit, überhaupt Bilder für das Neue zu entwickeln. Denn durch diesen Blick auf das Neue, können Klientinnen eine Ausrichtung wählen, eine Haltung einnehmen und den Fokus auf etwas legen, das sich gut und stimmig anfühlt.

Dieses innere Entwickeln eines neuen Zustandes hinterlässt auch Spuren in unserer Neurobiologie und verändert auch Strukturen in unserem Gehirn.


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Liebe Grüsse,

Gertrud

Balance im Leben und im Nervensystem | ohne emotionale Überforderung

Embodiment | Nervensystem | Verbindung zu Dir

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